Bebendes Eis

Das Erforschen von Gletschern hat seit langem Tradition beim Schweizerischen Erbebendienstes (SED). Derzeit beteiligt sich der SED in enger Zusammenarbeit mit den Glaziologen der ETH (Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie, VAW) an mehreren wissenschaftlichen Projekten im In- und Ausland. Der Rhonegletscher und das grönländische Inlandeis stehen dabei im Fokus: Zusammen mit Beobachtungen aus der klassischen Glaziologie sollen seismische Messungen über die Fliessbewegungen des Eises Aufschluss geben. Dies wird durch Seismometer ermöglicht, die temporär auf den Gletschern angebracht werden. In Grönland beteiligte sich der SED zudem am Aufbau eines seismischen Netzwerkes mit dem Ziel, die Veränderungen des grönländischen Inlandeises zu dokumentieren und zu überwachen.

Wieso untersuchen wir Gletscher?

Bei den Diskussionen rund um den Klimawandel nehmen Gletscher oft eine wichtige Rolle ein. Veränderungen von Gletschern können einen starken Einfluss auf lokale Wetterverhältnisse haben. Durch das vermehrte Abschmelzen wird zudem die Meeresspiegeländerung beeinflusst. In der Schweiz sind Vorhersagen über die Entwicklung von Gletschern unter anderem für die Energieversorgung mit Wasserkraft und den Tourismus zentral. Zu diesem Zweck wird versucht, die Prozesse im und unter dem Gletschereis mit Seismometern aufzuzeichnen. Ziel ist es, das Zusammenspiel zwischen dem Rückzug der Gletscher, den höheren Temperaturen und der Menge an Schmelzwasser zu verstehen.

Die im Inneren eines Gletschers ablaufenden Prozesse sind nicht direkt beobachtbar, können aber mithilfe von Seismometern indirekt aufgezeichnet werden. Seismometer auf dem Gletscher oder im gletschernahen Bereich ermöglichen es Wissenschaftler, in den Gletscher „hineinzuhören“. Im untenstehenden Gletscherschema lassen sich die Wellenformen von Eisbeben aus den verschiedenen Bereichen des Gletschers durch Anklicken der Beschriftungen eigenhändig erkunden. Für wissenschaftliche Untersuchungen werden die Häufigkeit, der Ort und die Form dieser Eis- und Gletscherbeben analysiert. Die Ergebnisse erlauben Aufschlüsse über das Innenleben und die Entwicklung eines Gletschers. Folgende Prozesse verursachen Gletscher- und Eisbeben: Entstehung von Gletscherspalten, Abfluss von Wassermassen (durch sogenannte „Moulins“ zum Gletscherbett), Gleiten des Gletschers auf dem Gletscherbett, Kalben (Abbrechen eines Eisberges in einen See oder ins Meer).

Erkunden Sie den Gletscher durch Klicken auf die schwarze Beschriftung:

Stellen Sie sich vor, der Erdbebendienst sei ein grosses Fischerboot, dessen Hauptaufgabe darin besteht, Erd- und Gletscherbeben zu fischen. Da der SED im Hinblick auf genauere wissenschaftliche Aussagen auch sehr schwache Signale aufzeichnen möchte, wird ein dichtes Netzwerk mit hochempfindlichen Seismometern betrieben, ähnlich einem engmaschigen Fischnetz. Entsprechend gelangt neben dem gewünschten Hauptfang eine ganze Menge Beifang ins Netz.

Den Beifang stellen in unserem Fall die von Menschen ausgelösten seismischen Signale dar. Die nachfolgende Grafik bietet einen Überblick verschiedener menschgemachter Beben. Dank ihrer charakteristischen Wellenform lassen sie sich für ein geübtes Auge eindeutig von natürlichen seismischen Erschütterungen unterscheiden. Neben den aufgeführten geophysikalischen Phänomen gilt es nicht zu vergessen, dass auch „Erdbeben“ von Menschen ausgelöst werden können. Dazu mehr im Snapshot vom kommenden Monat zum Thema „menschgemachte Erdbeben“.

Was die Geräte des SED neben Eisbeben sonst noch aufzeichnen:

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Die Zeitraffer zeigt ein Kalbungsereignis am Jakobshavn Isbræ, welches sich am 21. August, 2009 ereignete. Dabei verlor der Gletscher ein Eisvolumen von ca. 0.5 km3. Im Zeitraffer ist deutlich zu erkennen, dass sich nacheinander zwei Eisberge vom Gletscher lösen und drehen. In beiden Fällen zeichneten die installierten Breitbandseismometer tieffrequente seismische Wellen im Umkreis von mehreren hundert Kilometern auf. Dies zeigt, dass sich seismologische Messungen eignen, um Kontaktkräfte zwischen Eisbergen und Gletscherfronten während Kalbungsereignissen zu berechnen.

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Quelle: Walter, F., Amundson, J. M., O'Neel, S., Truffer, M., Fahnestock, M., & Fricker, H. A. (2012). Analysis of low-frequency seismic signals generated during a multiple-iceberg calving event at Jakobshavn Isbræ, Greenland.Journal of Geophysical Research: Earth Surface (2003–2012)117(F1).