Erdbebengerechtes Bauen

Den besten Schutz vor den Folgen eines Erdbebens bietet eine erdbebengerechte Bauweise. Sie verfolgt als oberstes Ziel, den Einsturz eines Gebäudes und damit Todesopfer und Verletze zu vermeiden. Darüber hinaus verhilft sie wenn möglich, die Funktionstüchtigkeit eines Gebäudes im Ereignisfall aufrechtzuerhalten sowie Folgeschäden z. B. durch Brände zu begrenzen.

Schäden an Gebäuden sind ab einer Intensität von etwa VI zu erwarten. Mit einem solchen Ereignis ist in den nächsten 100 Jahren in der Schweiz mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 75 Prozent zu rechnen.

In der Schweiz weisen zahlreiche Gebäude eine ungenügende Erdbebensicherheit auf. Grund dafür sind fehlende Vorschriften zur Bauzeit oder eine unzureichende Beachtung der Anforderungen an eine erdbebengerechte Bauweise. In der Schweiz sind die Anforderungen für eine erbebengerechte Bauweise bei Neubauten in den SIA Normen 261ff. festgehalten und für Umbauten oder Instandsetzungen im SIA-Merkblatt 2018.

In der Schweiz regeln die kantonalen Gesetzgebungen das Bauen. Gewisse Baugesetzgebungen verlangen explizit die Einhaltung der geltenden Normen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA. Darüber hinaus machen einige Kantone erdbebenspezifische Auflagen im Rahmen der Baubewilligungsverfahren:

  • Aargau
  • Basel-Stadt
  • Bern
  • Freiburg
  • Jura
  • Luzern
  • Nidwalden
  • Wallis

Quelle: BAFU „Erdbebensichere Neubauten“ (18.11.2020)

Neue Bauwerke müssen in enger Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur gemäss geltender SIA-Normen erdbebengerecht entworfen, geplant und gebaut werden.

Seit Einführung der geltenden Tragwerksnormen SIA 260ff. für Neubauten im Jahr 2003 können alle Bauherren die Bemessung und Projektierung eines Tragwerks nach modernen Erdbebenvorschriften vornehmen und somit eine hohe Sicherheit gewährleisten. Entwurf, Berechnung, Bemessung, konstruktive Gestaltung und korrekte Ausführung entscheiden wesentlich über die Erdbebensicherheit und die Schadenanfälligkeit eines Bauwerks. Werden diese Aspekte in enger Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauingenieur erarbeitet, dann liegen die Kosten für die Einhaltung der Erdbebenanforderungen unter einem Prozent der Gesamtbaukosten.

Erdbebengerechter Entwurf

Die frühe und enge Zusammenarbeit zwischen Architekt und Bauingenieur ist wesentlich bei der Planung eines erdbebengerechten Bauwerks, um architektonische Belange und Erdbebensicherheit optimal miteinander verbinden zu können. Um Erdbebensicherheit zu gewährleisten, ist ein robustes Tragwerk für die Abtragung der horizontalen Erdbebeneinwirkungen erforderlich. Dabei müssen die Aussteifungsbauteile (z. B. Wände oder Fachwerke) kontinuierlich über die Höhe des Gebäudes bis auf das Fundationsniveau durchlaufen und möglichst symmetrisch angeordnet sein. Die Aussteifungsbauteile müssen mit den Decken kraftschlüssig verbunden sein.

Neben der Tragstruktur ist im erdbebengerechten Entwurf die Erdbebensicherheit von nicht-tragenden Bauteilen, Installationen und Einrichtungen wie Fassaden, Trennwände, abgehängte Decken, Doppelböden, schwere Apparate und Leitungen zu berücksichtigen.

Wichtige Begriffe und Parameter der SIA-Normen

Die Erdbebengefährdung und die Bedeutung eines Bauwerks werden durch drei wichtige Parameter der geltenden Norm SIA 261 bestimmt.

  • Erdbebenzone

Region, für welche ein einheitliches Gefährdungsniveau angenommen wird. Der relative Einfluss auf die normgemässen Erdbebeneinwirkungen variiert von 1,0 (Zone 1) bis 2,7 (Zone 3b).

  • Baugrundklasse

Klassierung des lokalen Baugrunds in eine von 6 definierten Klassen A bis F mit entsprechendem Verstärkungspotenzial der Erdbebeneinwirkungen.

  • Bauwerksklasse

Klassierung des Bauwerks in eine von 3 definierten Bauwerksklassen je nach Bedeutung und Schadenpotenzial. Der relative Einfluss auf die normgemässen Erdbebeneinwirkungen variiert von 1,0 (BWK I) bis 1,4 (BWK III).

Links:

  • BAFU Faktenblatt „Erdbebengerechte Neubauten in der Schweiz - Worauf es ankommt – und warum“
  • BAFU Bericht „Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten - Grundsätze für Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behörden."

Quelle: BAFU „Erdbebensichere Umbauten, Instandsetzungen“ (18.11.2020)

Ein geplanter Umbau oder eine geplante Instandsetzung bieten Anlass um abzuklären, ob eine Überprüfung der Erdbebensicherheit angebracht ist. Bei einer solchen Überprüfung wird geklärt, ob das Bauwerk ausreichend erdbebensicher ist oder ob Erdbebensicherheitsmassnahmen einzubeziehen sind.

Zahlreiche bestehende Gebäude in der Schweiz haben eine ungenügende Erdbebensicherheit, gemessen an den heutigen Anforderungen für Neubauten. Oftmals liegt dies an fehlenden Bauvorschriften zur Bauzeit der Gebäude, in anderen Fällen auch an der Nichtbeachtung der Normenanforderungen an die Erdbebensicherheit. Solche Gebäude sind potenziell einsturzgefährdet und weisen bereits bei relativ schwachen Erdbeben häufig erhebliche Schäden auf.

Ist ein Umbau oder eine Instandsetzung geplant, so ist frühzeitig mit einem Bauingenieur abzuklären, ob eine Überprüfung der Erdbebensicherheit sinnvoll beziehungsweise erforderlich ist. Relevante Faktoren sind Art und Umfang des geplanten Eingriffs, ein Verdacht auf geringe Erdbebensicherheit, die Investitionssumme, der Gebäudewert sowie die Restnutzungsdauer. Eine Überprüfung ist zeitlich so durchzuführen, dass allfällige erforderliche Massnahmen zeitgerecht in die Planung des Bauvorhabens integriert werden können.

Mit einer fachgerechten Überprüfung nach Merkblatt SIA 2018 „Überprüfung bestehender Gebäude bezüglich Erdbeben" werden die konzeptionellen und konstruktiven Mängel an die Erdbebensicherheit erfasst und der sogenannte Erfüllungsfaktor αeff als Ergebnis der rechnerischen Beurteilung bestimmt. Der Erfüllungsfaktor beschreibt, inwieweit die Anforderungen an die Erdbebensicherheit gemäss den gültigen Tragwerksnormen beim überprüften Gebäude erfüllt sind. Erreicht der Erfüllungsfaktor einen Wert von 1,0, dann sind diese Anforderungen vollumfänglich erfüllt. Die Mindestanforderungen an die Sicherheit von Personen gemäss Merkblatt SIA 2018 verlangen einen Erfüllungsfaktor von 0,25 (0,4 für Gebäude der Bauwerksklasse BWK III, wie z. B. Akutspitäler, Feuerwehrgebäude).

  • Bei einem Erfüllungsfaktor < 0,25 (respektive 0,4 für BWKIII) ist die Erdbebensicherheit ungenügend.

Es sind zwingend Massnahmen zu ergreifen, um die Mindestanforderungen für bestehende Gebäude einzuhalten. Diese sind erfüllt, wenn der Erfüllungsfaktor einen Wert von 0,25 (respektive 0,40 für BWKIII) erreicht.

  • Bei einem Erfüllungsfaktor von 0,25 (respektive 0,4 für BWKIII) bis 1.0 ist die Erdbebensicherheit mangelhaft.

Die Erdbebensicherheit ist weitergehend zu verbessern, wenn sich bei der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen die Verhältnismässigkeit von Massnahmen nachweisen lässt. Dabei ist grundsätzlich die Erfüllung des normengemässen Zustands für Neubauten anzustreben. Falls dies nicht erreichbar ist, sind zumindest die am weitesten gehenden Massnahmen, die noch verhältnismässig sind, umzusetzen.

  • Bei einem Erfüllungsfaktor ≥ 1.0 ist die Erdbebensicherheit gemäss geltenden Normen gegeben.

Die Anforderungen an Neubauten sind zu 100 Prozent erfüllt. Es besteht kein Handlungsbedarf.

Ist die Erdbebensicherheit ungenügend oder mangelhaft, so sind Vorschläge für Erdbebensicherheitsmassnahmen auszuarbeiten und deren Verhältnismässigkeit zu beurteilen. Die Kosten der möglichen baulichen oder auch betrieblichen Massnahmen sind situationsabhängig und variieren stark. Synergien mit einem geplanten Bauvorhaben beeinflussen die Verhältnismässigkeit positiv.

Links:

  • BAFU Faktenblatt „Ist unser Gebäude genügend erdbebensicher? - Wann eine Überprüfung und eine Verbesserung sinnvoll sind – und warum.“
  • BAFU Bericht „Erdbebenertüchtigung von Bauwerken - Strategie und Beispielsammlung aus der Schweiz. 2008“

Quelle: BAFU „Erdbebengerechte nicht strukturelle Bauteile, Installationen und Einrichtungen (18.11.2020)

Erdbeben können hohe Sachschäden an nicht strukturellen Bauteilen, Installationen und Einrichtungen verursachen. Daher ist die erdbebengerechte Sicherung dieser Elemente sinnvoll. Sind durch sekundäre Bauteile oder feste Einrichtungen allerdings Personen, das Tragwerk oder die Funktion wichtiger Anlagen gefährdet, gelten die Anforderungen der SIA-Norm 261.

Generell können die nicht strukturellen Bauteile, Einrichtungen und Installationen bei einem Erdbeben sehr grosse Sachschäden verursachen. Ihre Unversehrtheit kann nach einem Erdbeben massgeblich darüber entscheiden, ob die Funktionalität des Gebäudes erhalten bleibt. Besonders verletzbar sind beispielsweise Zwischenwände, Rohrleitungen, abgehängte Decken, Lüftungskanäle, Beleuchtungssysteme, Aufzuganlagen, Fassadenelemente, Tanks, Elemente der Notstromversorgung oder das Mobiliar.

Im Besonderen sind gemäss geltender Norm SIA 261 Bauteile und feste Einrichtungen zu behandeln, die Personen gefährden, das Tragwerk beschädigen oder den Betrieb wichtiger Anlagen beeinträchtigen können. Es existieren für viele praktische Fälle einfache und kostengünstige Möglichkeiten, die nicht-tragenden Bauteile, Einrichtungen und Installationen so zu befestigen, dass sie bei einem Erdbeben besser geschützt sind.