Kurzfassung des Berichts „Good Practice Guide for Managing Induced Seismicity in Deep Geothermal Energy Projects in Switzerland (V2.0)“
Als lokale, vielseitige, saubere und erneuerbare Energiequelle kann die Geothermie dazu beitragen, die Schweizer Energie- und Klimaziele zu erreichen. Die Schweiz ist bereits heute führend in der Nutzung von oberflächennahen geothermischen Systemen mittels Wärmepumpen. Darüber hinaus gibt es auch in der Schweiz tiefere geothermische Ressourcen, die direkt zur Wärme- und Stromproduktion genutzt werden können. Im Folgenden werden wir ausschliesslich auf Tiefengeothermieprojekte eingehen, weil nur bei diesen das Risiko besteht, dass induzierte Erdbeben auftreten.
Weltweit werden zahlreiche Tiefengeothermieprojekte seit Jahrzehnten erfolgreich betrieben. Ein Projekt in Riehen (BS) speist beispielsweise seit 1994 Wärme in das lokale Fernwärmenetz ein. Daneben gibt es leider auch einige Tiefengeothermieprojekte, die bereits während der Bau- oder Betriebsphase des Reservoirs eingestellt werden mussten. Dazu gehören die nationalen Projekte in Basel (2006) und St. Gallen (2012) sowie jüngst die beiden internationalen Projekte in Pohang (Südkorea, 2017) oder Strassburg (Frankreich, 2019). Die Erfahrung zeigt, dass induzierte Erdbeben nicht akzeptabler Stärke meist die Ursache für solche Rückschläge waren. Daher gilt ein angemessenes Risikomanagement in Bezug auf induzierte Seismizität heute als wesentlicher Bestandteil, um sichere und wirtschaftlich tragfähige Tiefengeothermieprojekte zu betreiben.
In der Schweiz steht der Untergrund unter der Souveränität der Kantone. Es ist daher unerlässlich, dass die kantonalen Behörden für die Genehmigung, Konzessionierung und behördliche Aufsicht von Tiefengeothermieprojekten Zugang zu unabhängigem, seismologischem Fachwissen haben. Ausserdem sollten alle Entscheide sowie der Betrieb von Systemen zur Schadensvermeidung auf zuverlässigen seismischen Daten basieren, die durch ein adäquates seismisches Überwachungs- und Analysesystem gesammelt und sachkundig aufbereitet werden. Eine unabhängig durchgeführte seismische Überwachung und eine kompetente Projektaufsicht sind nicht nur unerlässlich für das Risikomanagement, sondern tragen auch dazu bei, die öffentliche Akzeptanz von Tiefengeothermieprojekten zu fördern und aufrechtzuerhalten.
GEOBEST2020+ ist ein Angebot, um die Kantone bezüglich des Risikomanagements von induzierter Seismizität bei Tiefengeothermieprojekten zu unterstützen. Auf Wunsch der Kantone übernimmt der SED die unten genannten Aufgaben – in der Regel kostenlos.
Im Rahmen von GEOBEST2020+ können die Expertinnen und Experten des SED die kantonalen Behörden in allen Phasen eines Tiefengeothermieprojektes unterstützen. Dies umfasst sowohl die Bewilligungs- und Konzessionsphase als auch den Bau und Betrieb eines Projekts. Dazu gehören folgende Aktivitäten:
Definition von Anforderungen an das Risikomanagement für induzierte Seismizität bei Projekten in relevanten kantonalen Bewilligungen
Die Kantone legen die inhaltlichen Anforderungen für die Bewilligungs- und Konzessionsgesuche der Betreiber fest. Der SED kann den Behörden dabei helfen sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte des Risikomanagements für induzierte Seismizität in den wesentlichen kantonalen Verfahren berücksichtigt werden. Der SED wird sich mit dem Kanton bei der Entwicklung eines kantonspezifischen GEOBEST2020+-Workflows abstimmen, um die Aufgaben jedes beteiligten Akteurs (d. h. Betreiber, Kanton und SED) festzulegen sowie die Zusammenarbeit zwischen ihnen zu definieren.
Teilnahme an der GRID-Bewertung von Projekten
Der SED hat ein Screening-Tool namens GRID entwickelt, um das zu erwartende seismische Risiko im Zusammenhang mit einem Tiefengeothermieprojekt zu klassifizieren. GRID ist einfach zu handhaben und verwendet geologische, technische und soziale Informationen, die bereits vor Projektbeginn verfügbar sind. Die sich daraus ergebenden GRID-Kategorien enthalten spezifische Empfehlungen für die seismische Überwachung und den erforderlichen Grad der Risikobewertung und -steuerung für jedes Projekt. Drei unabhängige Parteien (z. B. Kanton, Betreiber und SED) sollten die GRID-Evaluierung durchführen und anschliessend ihre Ergebnisse in einer Sitzung gemeinsam diskutieren. Der Kanton kann dann spezifische Anforderungen für die Genehmigung formulieren, die auf einer objektiven Projektklassifizierung basieren.
Überprüfung der seismologischen Aspekte von Genehmigungs- und Konzessionsanträgen, die von den Projektbetreibern eingereicht wurden
Auf Wunsch des Kantons kann der SED die seismologischen Aspekte in allen Unterlagen prüfen, die dem Kanton im Zusammenhang mit dem geplanten oder laufenden Betrieb von Tiefengeothermieprojekten vorgelegt werden (z. B. Dokumente der Umweltverträglichkeitsprüfung, Bohr- und Prüfkonzepte, regelmässige Zustandsberichte u. a.). Der SED wertet die Unterlagen aus und gibt bei Bedarf Empfehlungen für weitere Untersuchungen ab.
Teilnahme an projektbegleitenden beratenden Expertengruppen
Idealerweise wird ein Tiefengeothermieprojekt über die gesamte Dauer seines Bestehens von einer Expertengruppe begleitet, die sich aus Fachleuten des Kantons, des Betreibers und des SED zusammensetzt und den Kanton in kritischen Projektphasen beraten kann.
Bereitstellung von unabhängigen, kantonspezifischen Informationen über Tiefengeothermie und Seismizität für die Öffentlichkeit
GEOBEST2020+ ermöglicht dem SED, der Öffentlichkeit unabhängige Hintergrundinformationen zur Geothermie und zu induzierter Seismizität zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise informiert der SED über diese Themen auf seiner Webseite, hält öffentliche Präsentationen, veröffentlicht Publikationen oder gibt den Medien Auskunft. Wenn sich Kantone für eine Zusammenarbeit mit dem SED in GEOBEST2020+ entscheiden, kann die SED-Webseite mit aktuellen kantons- und projektspezifischen Informationen ergänzt werden.
Koordination der öffentlichen Kommunikation über projektbezogene seismische Ereignisse mit dem Kanton
Gemäss Auftrags des Bundes informiert der SED die Schweizer Behörden, die Bevölkerung sowie die Medien über verspürte Erdbeben in der Schweiz und im grenznahen Ausland. In solchen Fällen veröffentlicht der SED rasch Informationen zum Erdbeben und beantwortet Medienanfragen. Bei induzierten Erdbeben in GEOBEST2020+-Partnerkantonen kann der SED sicherstellen, dass die kantonalen Behörden nahezu in Echtzeit (24/7) über ein solches Ereignis und die vom SED veröffentlichten Informationen unterrichtet werden. Ausserdem kann der SED Medienanfragen zu projektspezifischen Themen direkt an die richtige Stelle beim Kanton weiterleiten.
In GEOBEST2020+ kann der SED für Tiefengeothermieprojekte die geeignete sicherheitsrelevante seismische Grundüberwachung, Analyse und Erdbebenalarmierung bereitstellen sowie auf Wunsch eines Kantons die Verantwortung dafür übernehmen. Konkret kann der SED die kantonalen Behörden wie folgt unterstützen:
Installation eines massgeschneiderten seismischen Netzwerks für die Grundüberwachung
Das Netzwerk wird sicherstellen, dass alle Erdbeben mit einer Magnitude von ML>=1.0 automatisch erkannt und mit einer Genauigkeit von 500 m oder weniger innerhalb eines Umkreises von 5 km um die Projektstandorte lokalisiert werden können. Wenn immer möglich, wird der SED bestehende Stationen des nationalen Netzwerks mitnutzen. Seismische Wellenformdaten werden auf redundanten Servern beim SED gespeichert und der offene Datenzugang wird über die FDSN-Webdienste des SED bereitgestellt.
Durchführung manueller Überprüfungen der seismologischen Daten
Eine Gruppe erfahrener Seismologinnen und Seismologen überprüft die seismologischen Daten im Rahmen der täglichen Routineanalyse der Seismizität in der Schweiz. Diese Analyse stellt auch sicher, dass falsche automatische Detektionen (z. B. Steinbruchsprengungen) erkannt und von der Alarmierung ausgeschlossen werden.
Versand von Erdbebenalarmen per SMS und E-Mail an die vom Kanton definierten Akteure
Schnelle vorläufige Beurteilung, ob ein Erdbeben natürlich oder von Menschen verursacht war
Der SED wird dem Kanton und den vom Kanton definierten Akteuren rasch eine vorläufige Einschätzung vorlegen, ob ein Erdbeben, das sich in der Nähe eines Tiefengeothermieprojektes ereignet hat, induziert oder natürlich ist. Eine solche Beurteilung stützt sich auf den Ort und die Tiefe des Ereignisses sowie auf die seismische und betriebliche Geschichte des Projekts. Diese Beurteilung bietet den kantonalen Behörden die Grundlage für eine fundierte öffentliche Kommunikation und eine schnelle Anpassung der Sicherheitssysteme (Ampelsystem) des Betreibers.
Betrieb einer öffentlichen projektspezifischen Informationswebseite
Der SED wird für jedes Tiefengeothermieprojekt in einem GEOBEST2020+-Partnerkanton eine Informationsseite einrichten. Die Webseite wird Hintergrundinformationen über das Tiefengeothermieprojekt, die bisherige natürliche Seismizität im Gebiet, Echtzeit-Erdbebeninformationen mit Karten und Ereignislisten sowie Echtzeit-Seismogramme der Messstationen enthalten. Erdbebeninformationen veröffentlicht der SED in Echtzeit auf diesen Seiten und der SED-Startseite, was eine transparente Information der Öffentlichkeit gewährleistet.
Der SED ist die Fachstelle des Bundes für Erdbebenüberwachung, Erdbebengegefährung und -risikobeurteilung sowie – in Anlehnung an die Bundesalarmierungsverordnung – für Erdbebenwarnungen. Im Falle eines Erdbebens informiert der SED die Öffentlichkeit, Behörden und Medien rasch über Ort, Stärke und mögliche Auswirkungen des Bebens und gibt Auskunft über die Wahrscheinlichkeit weiterer Schadenbeben. Spätestens bei verspürten induzierten Erdbeben nimmt der SED daher eine offizielle Rolle ein.
Der SED führt keine projektspezifischen seismischen Risiko- und Gefährdungsanalysen von Tiefengeothermieprojekten im Auftrag der Betreiber durch. Auf diese Weise können Interessenkonflikte minimiert werden. Zudem gibt es im In- und Ausland private Anbieter, die diese Aufgabe kompetent wahrnehmen können. Der SED sieht seine Hauptaufgabe darin, die Behörden bei ihren Aufsichtspflichten zu unterstützen. Dazu gehören die Sicherstellung einer optimalen seismischen Grundüberwachung und Alarmierung, die Beratung der kantonalen und lokalen Behörden sowie die Überprüfung von Gefahren- und Risikoanalysen.
GEOBEST2020+ ermöglicht dem Schweizerischer Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich, der als Fachstelle des Bundes für Erdbeben agiert, den Kantonen auf Anfrage kostenlos seismologisches Fachwissen und seismische Basisüberwachung zur Verfügung zu stellen. Dies erfolgt unabhängig von den Betreibern eines Tiefengeothermieprojektes. Das Projekt GEOBEST2020+ wird von EnergieSchweiz (Bundesamt für Energie, BFE) finanziert und deckt die Kosten für anderthalb Stellen erfahrener Seismologen und eine Anzahl verschiedener seismologischer Geräte. Mehr Informationen hier.
Für mehr Informationen zum Projekt GEOBEST2020+ und zum Thema induzierte Erdbeben in der Tiefengeothermie kontaktieren Sie uns bitte auf:
Dr. Toni Kraft (Projektverantwortlicher Seismologie von GEOBEST2020+)