23.11.2021

Mit seismischer Bodenunruhe drei Milliarden Jahre Marsgeschichte aufdecken

Es gibt zwei Möglichkeiten, um zu ergründen, was sich tief unter unseren Füssen verbirgt: Man kann ein Loch bohren oder mit Hilfe von seismischen Wellen ein Bild des Untergrunds erstellen. In den vergangenen Jahrzehnten haben Seismologen und Seismologinnen Techniken und Analyseverfahren (weiter-)entwickelt, um mittels seismischer Bodenunruhe die Strukturen in den oberflächennahen Schichten des Untergrunds bis mehrere hundert Meter Tiefe abzubilden. Dank den auf der Erde erprobten Technologien gelang dies nun zum allerersten Mal auf einem anderen Planeten. Zum Vorschein kamen drei Milliarden Jahre Marsgeschichte, wie eine kürzlich publizierte Studie in Nature Communications aufzeigt.

Seit die InSight Mission der NASA im November 2018 auf dem Mars landete und ein Seismometer in Betrieb nahm, analysierte der Marsbebendienst unter der Leitung der ETH Zürich und mit Beteiligung des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED) regelmässig die eingehenden Daten. Dabei lokalisierten die Forschenden nicht nur zahlreiche Marsbeben, sondern verwendeten diese Daten auch, um Aussagen über den Aufbau des Planeteninneren zu machen. Sie charakterisierten mit diesem Verfahren Kruste, Mantel und Kern, konnten aber keine Aussagen über die oberflächennahen Strukturen machen. Dieser Bereich ist aber von besonderem Interesse, um die geologische Geschichte des Mars zu verstehen.

Die neuste Untersuchung nutzt nicht die Marsbebensignale selbst, um in den Untergrund zu blicken, sondern die ebenfalls erfasste seismische Bodenunruhe zu Zeiten ohne Marsbeben. Auf unserem Planeten ist sie durch die Wogen der Ozeane, den Wind und menschliche Aktivitäten geprägt. In den letzten Jahrzehnten entwickelte der SED Methoden für die Analyse der Bodenunruhe und wendet diese an, um festzustellen, wie die lokale Geologie aufgebaut ist und ob der lokale Untergrund Erdbebenwellen eher abschwächt oder verstärkt. Das ist wichtig, um die Erdbebengefährdung an einem Standort zu bestimmen, aber auch für die Analyse von instabilen Hangrutschzonen in den Bergen oder in Seen.

Auf dem Mars liegt der Ursprung der Bodenunruhe im Wind, der durch Interaktion mit der Marsoberfläche seismische Wellen erzeugt. Die Auswertungen dieser Bodenunruhe erlauben nun erstmals Aufschlüsse über den Marsuntergrund und seine Geschichte in einer Tiefe von wenigen Dutzend bis zweihundert Metern. Im Unterschied zur Erde gab es auf dem Mars nie eine aktive Plattentektonik, seine Gestalt prägen Phasen von aktivem Vulkanismus, die grosse Gebiete mit basaltischen Lava-Plateaus bedeckten. Die neuen Auswertungen verdeutlichen dies. Sie zeigen eine erste etwa drei Meter dicke Schicht aus Sand (Regolith) und eine etwa 20 Meter dicke Schicht mit losem Gestein, die tausende von Meteoriteneinschlägen zerklüftet haben. Darauf folgen zwei Schichten von Lavaströmen, die den Planeten vor 1.7 und 3.6 Milliarden Jahren überzogen haben. Sie werden in einer Tiefe von ungefähr 30 bis 75 Meter von einer sedimentären Schicht durchbrochen. Diese Schichtung, ähnlich einer Torte mit verschiedenen Füllungen, gibt ein ganz spezifisches seismisches Bild ab. Dieses ermöglichte es den Forschenden, die wichtigsten geologischen Ereignisse der letzten 3 Milliarden Jahre in der Geschichte des Mars zum ersten Mal nachzuvollziehen.

Wenn Menschen eines Tages auf dem Mars landen, sollten sie wissen, was sich unter ihren Füssen befindet. Von besonderem Interesse ist die Frage, ob diese oberflächennahen Schichten Wasser enthalten. Die neusten Erkenntnisse zeigen, dass die auf der Erde erprobten Techniken und Verfahren bei der Beantwortung dieser Frage helfen.

Hobiger, M., Hallo, M., Schmelzbach, C. et al. The shallow structure of Mars at the InSight landing site from inversion of ambient vibrations. Nat Commun 12, 6756 (2021).
https://doi.org/10.1038/s41467-021-26957-7