04.02.2019

Können Tiefbohrungen Erdbeben auslösen?

In der Schweiz erfolgten bisher über hundert Bohrungen, die in Tiefen von 400 Metern oder mehr vordrangen (sogenannte Tiefbohrungen). Sie dienten unter anderem dazu, den Untergrund zu erkunden, sei es für Tunnelbauten, Erdwärmenutzung, potentielle Endlagerstandorte, Rohstoffexplorationen oder um Grund- und Thermalwasserquellen zu erschliessen. Weltweit sind es Hunderttausende. Bisher sind keine schadenbringenden Beben bekannt, die alleine durch Tiefbohrungen ausgelöst worden sind. Die einfache Antwort auf die im Titel gestellte Frage lautet daher: Nur durch Tiefbohrungen und ohne weiterführende Eingriffe in den Untergrund verursachte Schadensbeben sind extrem unwahrscheinlich. Dokumentiert sind allerdings durch Tiefbohrungen verursachte Mikroerdbeben mit Magnituden von unter 1. Mit Hilfe eines dichten seismischen Netzwerks lassen sich solche Mikroerdbeben zuverlässig aufzeichnen und es kann besser festgestellt werden, ob diese mit den Tiefbohrungen in Zusammenhang stehen oder natürlichen Ursprungs sind.

Trotz der sehr grossen Anzahl an Tiefbohrungen weltweit ist die Datenlage über Erdbeben in diesem Zusammenhang spärlich. Dies liegt einerseits daran, dass die Wahrscheinlichkeit für solche Beben sehr gering ist. Andererseits erfolgten viele Tiefbohrungen in unbewohnten Gebieten. Möglicherweise spürbare Beben wurden somit von der Bevölkerung nicht wahrgenommen und rapportiert. Vielerorts wurden und werden solche Bohrungen zudem nicht seismisch überwacht. Dies verunmöglicht es, kleinere induzierte Erdbeben zuverlässig zu erfassen. In der Schweiz sind zum Beispiel einige Mikroerdbeben dokumentiert, die bei der Zementierung des Bohrlochs für das Basler Geothermieprojekt auftraten. Das stärkste wies eine Magnitude von 0.7 auf und setzte damit 500-mal weniger Energie frei als ein Beben mit einer Magnitude von 2.5. Ab dieser Stärke können Beben üblicherweise verspürt werden.

Physikalisch sind die Prozesse recht gut verstanden, weshalb Tiefbohrungen in gewissen Fällen Erdbeben auslösen: Tiefbohrungen verursachen teilweise lokale Spannungs- und Porendruckänderungen im Gestein, die in manchen Fällen eine tektonisch vorgespannte Bruchfläche in der näheren Umgebung reaktivieren und damit ein Erdbeben verursachen können. Derartige Spannungsänderungen treten in der Regel aber nur bei den folgenden zwei Begebenheiten auf: Erstens, wenn eine Schicht mit hohen Fluiddrücken angebohrt wird. In diesem Fall kann unter gewissen Umständen das Gesteinsfluid (Flüssigkeit oder Gas) in das Bohrloch eindringen. Dies verursacht einen Überdruck im Bohrloch, der sich in der Regel kontrolliert abbauen lässt. Alternativ wird das Bohrloch an der entsprechenden Stelle in der Tiefe abgedichtet. Zweitens, wenn eine Schicht getroffen wird, die über einen sehr hohe Fluiddurchlässigkeit oder eine geringe Gesteinsfestigkeit verfügt. Dann kann es vorkommen, dass ein Teil der Bohrspülung oder des Zements ins Umgebungsgestein eintritt. Die Bohrspülung ist notwendig, um den Abrieb der Bohrung an die Oberfläche zu befördern und um das Bohrloch während des Vortriebes zu stabilisieren. Nach Abschluss einer Bohrsektion wird das Bohrloch mit einer einzementierten Verrohrung versehen, damit es langfristig zugänglich bleibt. Meist sind die von den Spannungsänderungen betroffenen Gesteinsvolumen aber klein. Daher ist auch die Wahrscheinlichkeit ausserordentlich gering, einen grösseren, vorgespannten Bruch zu aktiveren und damit ein grösseres, potentiell spürbares Beben auszulösen.

Der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich empfiehlt in seinen Leitfaden zum Umgang mit induzierten Beben für reine Tiefbohrungen (z. B. Erkundungsbohrungen) normalerweise keine seismische Überwachung. Zur Beweissicherung und zur besseren Unterscheidung von natürlicher und induzierter Seismizität kann es jedoch sinnvoll sein, eine zusätzliche Station nahe eines Bohrstandorts zu installieren. Aktuell verdichtet der SED zu diesem Zweck beispielsweise im Auftrag der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sein Netzwerk, um Erkundungsbohrungen in der Nordostschweiz zu überwachen.