Seismotektonik

Die Seismotektonik untersucht die Zusammenhänge zwischen Erdbeben, Verwerfungen und tektonischen Prozessen. Sie verwertet Informationen aus mehreren Disziplinen, darunter Seismologie, Geodäsie und Geologie. Die Analyse seismologischer Daten liefert Informationen über die Geometrie und die Bewegungsrichtung von Erdbebenbrüchen. Die kombinierte Deutung zahlreicher Erdbeben erlaubt Rückschlüsse auf das tektonische Beanspruchungsregime, das in Verbindung mit Informationen über die Ausrichtung von Verwerfungen für die Berechnung der Erdbebengefährdung eines Gebietes von grundlegender Bedeutung ist.

Bild: Tiefenprofil hochgenauer Lokalisierungen des Hypozentrums einer Erdbebensequenz nahe Winterthur im April 2014. Der Herdmechanismus (Wasserball-Symbol) des Bebens mit ML 2.0 vom 17. April zeigt eine nach Westen abfallende normale Verwerfung im kristallinen Grundgebirge.
Seismotektonik

Was ist Seismotektonik?

Die Gruppe Seismotektonik beim Schweizerischen Erdbebendienst (SED) untersucht die Zusammenhänge zwischen Erdbeben, einzelnen Verwerfungen und tektonischen Prozessen in der Schweiz und anderen tektonisch aktiven Regionen der Welt. Die Seismotektonik verwertet vorwiegend Informationen aus genauen Erdbebenlokalisierungen, Herdvorgängen, der Struktur und den Eigenschaften der Lithosphäre, die durch passive und aktive seismische Daten dargestellt werden, sowie aus Geodäsie und Geologie. Das Hauptziel der seismotektonischen Analysen beim SED ist die Bestimmung der Herdvorgänge von Erdbeben aus seismischen Aufzeichnungen (Seismogramme). Herdvorgänge liefern Informationen über die Geometrie und die Bewegungsrichtung von Erdbebenbrüchen bei einzelnen Erdbeben. Die eindeutige Identifizierung der aktiven Bruchfläche erfordert jedoch die kombinierte Deutung des Herdvorgangs und die präzise Lokalisierung des jeweiligen Hypozentrums bei den Vor- und Nachbeben. In manchen Fällen kann die identifizierte Bruchfläche auch mit Verwerfungen, die aus geologischen oder reflexionsseismischen Messprogrammen bekannt sind, in Zusammenhang gesetzt werden.

Was können wir von der Seismotektonik lernen?

Identifizierte Bruchflächen ermöglichen in Verbindung mit der jeweiligen Bewegungsrichtung, Rückschlüsse auf das tektonische Regime einer Region zu ziehen. Obwohl die Vorgänge bei einzelnen Erdbeben hauptsächlich Verformungsdaten enthalten und häufig durch gegebene Strukturen verzerrt werden, ist die kombinierte Interpretation zahlreicher Erdbeben für das tektonische Beanspruchungsregime einer Region repräsentativ. In der Schweiz wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Beanspruchungsregime identifiziert, die hauptsächlich durch riesige plattentektonische Prozesse wie z. B. die Kollision der Europäischen und der Afrikanischen Platte oder durch dynamische Prozesse im Erdmantel unter den Alpen bedingt sind. Während weite Teile des nördlichen Alpenvorlandes der Schweiz und die nördlichen Teile der Schweizer Alpen durch eine Kompression dominiert werden, die mehr oder weniger senkrecht zur Streichrichtung der Alpen verläuft, ist in den Regionen südlich des Rhône-Tals im Wallis und in Teilen von Graubünden die Extension das vorherrschende tektonische Regime.

Letztendlich sind die Daten, die über das Beanspruchungsregime in Verbindung mit den identifizierten Verwerfungen und deren Ausrichtungen bereitgestellt werden, für die Berechnung der seismischen Gefährdung von wesentlicher Bedeutung.

Die Karte zeigt Komponenten horizontaler tektonischer Beanspruchung in der Schweiz abgeleitet aus Analysen von Erdbebenvorgängen [Kastrup et al. 2004, Journal Geophysical Research; Marschall et al. 2013, Swiss Journal of Geoscience].
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